Jahrelang hat keine Notiz-App für mich funktioniert – bis ich verstanden habe, warum

Wer kennt es nicht: Man verbringt mehr Zeit damit, die perfekte Notiz-App zu finden, als tatsächlich Notizen zu machen und sie dann auch für irgendwas zu verwenden.

So ging es mir jahrelang – oder besser gesagt: eigentlich mein ganzes Leben.

Ob Notizheft und Stift, Apple Notizen, Notion oder Obsidian – nichts hat für mich langfristig funktioniert.

Das Problem war immer dasselbe: Ich wusste sehr oft nicht, in welche Kategorie ich eine Notiz schreiben sollte.

Ist dieser Gedanke jetzt eine Content-Idee?

Eine Erkenntnis?

Ein Satz, der irgendwann mal in einen Newsletter wandern könnte?

Oder was genau will ich zukünftig mit diesem Gedanken machen?

Keine Ahnung! Ich will ihn jetzt einfach erstmal aufschreiben, und fertig!

Am Ende landeten viele meiner Ideen einfach in: WhatsApp.

Ja, in einem Chat an mich selbst. Weil WhatsApp wenigstens keine Fragen stellt. Ist zwar nicht so übersichtlich, aber ich kann da einfach alles reinschreiben, ohne vorher irgendwas wissen zu müssen.

Aber warum bin ich immer wieder – egal, welche all dieser tollen Notiz-Apps ich ausprobiert habe – bei WhatsApp gelandet?

Das Problem, das dahinter steckt, habe ich erst vor einer Weile verstanden: Es gibt zwei Arten von Notiz-AppsTop-down und Bottom-up.

Warum viele Kreative nicht die passende Notiz-App finden

Als ich auf LinkedIn geschrieben habe, dass ich meine Gedanken oft in einem WhatsApp-Chat an mich selbst speichere, war ich überrascht, wie viele daraufhin schrieben: „Oh Gott, ich mache das auch!!“

Es scheint also ein Muster zu sein: Viele kreative Menschen weichen instinktiv auf Tools aus, die eigentlich gar nicht für Notizen gedacht sind – Messenger, Sprachmemos, E-Mail-Entwürfe, Chats an sich selbst.

Aber warum?

Ich glaube, es liegt daran, dass sie etwas brauchen, was die meisten Notiz-Tools nicht bieten: Einen Ort, an dem ein Gedanke einfach nur notiert werden darf – ohne sofort definiert oder einsortiert werden zu müssen.

Doch viele Apps verlangen genau das: Entscheidungen, bevor man überhaupt irgendetwas aufgeschrieben hat:

  • Was ist das für eine Notiz?
  • In welchen Ordner gehört sie? In welche Kategorie?
  • Braucht es eine neue Notiz oder passt der Gedanke zu einer bestehenden?
  • Wie nenne ich die Notiz?

Viel zu stressig! Ich schreibs einfach in WhatsApp rein!

Viele Kreative finden also nie die passende Notiz-App, weil die meisten Apps nach einem Prinzip funktionieren, das mit kreativem Denken kaum kompatibel ist: dem Top-down-Prinzip.

Was Top-down bedeutet – und warum es so viele Kreative ausbremst

Top-down bedeutet schlicht: Erst kommt die Struktur, dann der Gedanke.

Für viele organisatorische Aufgaben funktioniert das wunderbar.

Ob für Dokumente, Meeting-Notizen, Projektunterlagen oder die Verwaltung von Informationen, die von Anfang an eindeutig sind.

Aber für kreatives Denken ist Top-down weniger geeignet.

Und zwar, weil Top-down-Systeme auf drei Annahmen basieren, die für Kreative selten zutreffen:

  1. Ein Gedanke ist von Anfang an eindeutig

Top-down geht davon aus, dass ein Gedanke klar genug ist, um ihn direkt einzuordnen:

  • Welchen Zweck hat der Gedanke?
  • Wozu gehört er?
  • Wie benenne ich ihn?

Kreative Gedanken sind aber oft mehrdeutig. Sie könnten in drei Kategorien gleichzeitig passen – oder in keine. Und was man mit dem Gedanken machen will, das weiß man vielleicht auch noch nicht. Man spürt nur irgendwie, dass man ihn aufbewahren will.

  1. Ordnung entsteht vor dem Denken

Top-down setzt voraus, dass ein System steht, bevor etwas hineinkommt. Aber kreative Prozesse funktionieren genau umgekehrt: Sie erzeugen erst Chaos, und später kommt vielleicht irgendwann die Klarheit.

  1. Schreiben ist Verwaltung

Top-down-Tools behandeln Notizen wie kleine Projekte, die sofort getaggt, benannt, abgelegt oder verlinkt werden müssen. Aber Schreiben ist nicht nur Verwaltung, Schreiben ist auch Denken. Und denken kann man erst, wenn man überhaupt schreiben darf – ohne sofort Struktur liefern zu müssen.

Wenn Top-down für Kreative also oft nicht funktioniert, was funktioniert dann? Die Antwort lautet: Bottom-up.

Was Bottom-up bedeutet und warum es für Kreative natürlicher ist

Wenn Top-down bedeutet: Erst die Struktur, dann der Gedanke, dann funktioniert Bottom-up genau umgekehrt.

Bottom-up heißt: Erst der Gedanke, dann – vielleicht – irgendwann die Struktur.

Du schreibst einfach auf, was dir in den Sinn kommt. Ohne, dass du erst einmal irgendeine Entscheidung treffen musst.

Wie in einem WhatsApp-Chat oder einem E-Mail-Entwurf: ein Ort, an dem ein Gedanke erst einmal aufgeschrieben werden kann, bevor man weiß, was man später damit macht.

Und genau deshalb fühlen sich Bottom-up-Tools für Kreative oft natürlicher an.

Wie Bottom-up-Tools in der Praxis funktionieren

Bottom-up-Tools funktionieren oft mit sogenannten „Today Pages“ oder „Daily Notes“. Das heißt, du öffnest die App – und bekommst automatisch eine leere Seite für genau diesen Tag.

So sieht die Today Page bei Tana aus

Und dort kannst du jetzt einfach losschreiben. Jeder Gedanke bekommt einen neuen Bullet Point, ohne dass du erst irgendwas kategorisieren musst.

Das sieht dann zum Beispiel so aus:

Später kannst du dann entscheiden, in welche Kategorie(n) der Gedanke kommt, ob er mit einem anderen Gedanken verlinkt werden soll oder ob du ihn einfach auf der Today Page stehen lässt. Das funktioniert dann zum Beispiel über Tags:

Die Ordnung entsteht also nach dem Schreiben. Oder gar nicht, wenn du deine Gedanken einfach unsortiert auf der Today Page lassen willst.

Warum Bottom-up vielen Kreativen leichter fällt

  1. Der Einstieg kostet keine Energie

Du musst keine Entscheidungen treffen, bevor du anfängst zu schreiben. Du kannst dich vollkommen auf das, was du schreiben willst, konzentrieren. Das senkt die mentale Hürde enorm.

  1. Du kannst Ideen & Gedanken festhalten, bevor du weißt, was du damit machst

Das passt zur Realität kreativen Denkens: Dir kommen Gedanken und du spürst, dass sie Bedeutung haben, aber du weißt vielleicht noch nicht, wie genau du sie verwenden kannst. Mit Bottom-up kein Problem.

  1. Du kannst später irgendwann ordnen – wenn sich ein Muster zeigt

Erst denken, dann ordnen. Nicht andersherum.

  1. Du unterbrichst deinen Flow nicht

Keine Mikroentscheidungen, die dich rausbringen.

Bottom-up in einem Satz: „Ich will einfach nur kurz was aufschreiben – den Rest klär ich später.”

Top-down vs. Bottom-up – der direkte Vergleich

Top-down Bottom-up
Reihenfolge
Erst Struktur, dann Gedanke
Erst Gedanke, dann (vielleicht) Struktur
Startpunkt
Kategorien, Ordner, Tags müssen vorher feststehen
Tool einfach öffnen, leere Today Page wird automatisch erstellt
Mentaler Aufwand
Hoch – viele Mikroentscheidungen vor dem Schreiben
Niedrig – keine Entscheidungen vorab
Gedanken-Typ
Eindeutige, klar definierte Informationen
Roh, unscharf, mehrdeutig, noch entstehend
Flow beim Schreiben
Bleibt stabil, weil nichts definiert werden muss
Wird direkt unterbrochen
Zweck
Verwaltung, Organisation, Dokumentation
Denken, Ideensammeln, Entwickeln
Passend für
Projekte, Dokumente, klare Informationen, feste Strukturen
Kreative Prozesse, Brainstorming, Wissen im Entstehen
Typische Tools
Notion, Evernote, Apple Notizen
Tana, Roam Research, Logseq, Capacities, Obsidian (mit Daily Notes)

Wie du herausfindest, welches System für dich funktioniert

Wenn du bisher auch mit keiner Notiz-App richtig klarkommst, probier doch Bottom-up einfach mal aus.

Zum Beispiel mit Tana oder Logseq – beide haben eine kostenlose Version und so kannst du einfach mal eine Woche lang jeden Tag die Today Page testen, und zwar so:

  • Öffne einfach das Tool
  • Schreib auf, was dir in den Sinn kommt, ohne irgendwas zu kategorisieren oder zu taggen
  • Sortiere erst am nächsten Tag, wenn überhaupt

Wenn du nach ein paar Tagen merkst, dass dir das Schreiben leichter fällt, du mehr festhältst oder dich weniger blockiert fühlst (oder du WhatsApp nicht mehr als Notiz-Tool nutzt! ;)), dann ist Bottom-up wahrscheinlich das, was du gesucht hast.

Am Ende geht es nicht um die perfekte App, sondern um ein System, mit dem du gut genug zurechtkommst. Perfektion gibt es nicht – dafür besteht unsere Welt mittlerweile aus viel zu vielen Informationen.

Julia Jank

Julia hat ein Problem: Sie kauft weit mehr Bücher, als sie jemals lesen kann – ihr Wissensdurst ist einfach unstillbar. Damit wieder Geld reinkommt, schreibt sie freiberuflich Blogartikel und beschäftigt sich mit Marketing. Auf scribona schreibt sie über ihre Erfahrungen und ihre Erkenntnisse als freiberufliche Texterin.

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